Februar 2025
Januar 2025
Dezember 2024
November 2024
Oktober 2024
September 2024
August 2024
Juli 2024
Juni 2024
März 2024
Februar 2024
Januar 2024
Dezember 2023
November 2023
Oktober 2023
September 2023
August 2023
Juli 2023
Juni 2023
Mai 2023

Was macht eigentlich… das Awareness-Konzept?
Im Gespräch mit Naomi Mathys und Florence Ruckstuhl, Co-Leitung Kommunikation und Dramaturgin Darstellende Künste
Ihr arbeitet jetzt schon länger an unserem Awarenesskonzept. Von welcher Definition seid ihr ausgegangen und was bedeutet Awareness für euch?
NM: Awareness bezeichnet das Bewusstsein und die Aufmerksamkeit für Situationen, in denen die Grenzen anderer überschritten werden oder wurden. Alle Formen von Diskriminierung und (sexualisierter) Gewalt können dabei eine Rolle spielen, es geht aber auch um Sensibilität für das Wohlbefinden einer Person. Awareness-Arbeit zielt darauf ab, dass sich alle Menschen unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung, Hautfarbe, Herkunft, Aussehen und körperlichen Fähigkeiten möglichst wohl, frei und sicher fühlen können. Das ist keine Definition, die wir selbst erfunden haben. Das basiert alles auf Vorlagen aus der Literatur und auf Material, das wir recherchiert haben.
Wieso hat sich der Südpol dem Thema überhaupt angenommen? Was wollen wir damit und wieso brauchen wir das?
FR: Awarenessarbeit ist der Versuch, Räume zu kreieren oder sicherer zu gestalten, sodass sich möglichst viele Menschen möglichst frei und wohl fühlen. Wir wollen, dass der Südpol ein diskriminierungssensibler Ort ist, der möglichst offen für eine Vielheit von Menschen ist.
NM: Das behaupten wir ja auch als Haus mit unseren Inhalten, dass wir für alle was im Programm haben. Das wollen wir auch leben. Und dann müssen wir uns auch proaktiv um Awareness kümmern. Es reicht nicht aus, nur ein diverses Programm anzubieten.
Wann und warum wurde beschlossen, dass das Thema angegangen werden soll?
NM: Ich habe vor zwei Jahren im Südpol angefangen, als es gerade konkrete Vorfälle von Übergriffen gab. Da haben wir entschieden, dass wir da entschieden gegen angehen möchten. Es braucht einen längeren Prozess, dass wir das auf Dauer garantieren können. Man kann da nicht einfach ein Pflaster drüber kleben, sondern muss von Grund auf was aufbauen, damit man Übergriffe im Haus, sowohl beim Publikum als auch im Team, möglichst vermeidet.
FR: Dementsprechend ist Awareness eigentlich eine zweiteilige Strategie: Ein Aspekt ist die Prävention und Sensibilisierung in der Hoffnung, dass man grenzüberschreitendes Verhalten verhindern oder wenigstens vermindern kann. Der zweite Teil ist, die Tools parat zu haben, wie damit umzugehen ist, wenn Übergriffe tatsächlich passieren.
Was ist eure persönliche Motivation, euch dem Thema anzunehmen? Neben euren regulären Jobs habt ihr euch als Team freiwillig für ein extra Awareness-Pensum gemeldet…
NM: Ich bin schon viele Jahre im Clubleben unterwegs, beruflich und privat. Ich habe schon oft festgestellt, dass ich an gewissen Orten von gewissen Leuten anders behandelt werde als ein Mann. Oder Menschen mit anderer Herkunft oder Hautfarbe wiederum anders als ich. Und das ist einfach nicht cool. Ich möchte mich nicht in einem Raum aufhalten, wo das das Credo gilt, dass nicht alle gleich sind. Ich möchte mich für ein inklusiveres Kultur- und Nachtleben einsetzen.
FR: Ich habe mich vor allem gefragt: Was kann ich zu einer strukturellen Veränderung beitragen? Und wer macht es, wenn nicht wir? Ich finde es wichtig, dass etwas passiert und dann muss sich auch irgendwer drum kümmern.
NM: Und wir haben als Mehrspartenhaus auch einfach die Power und Verpflichtung, was zu verändern. Es ist auch toll, dass ich die Möglichkeit habe, was dazu beizutragen.
Ihr habt ja schon erwähnt, dass Awareness sowohl für Publikum im Veranstaltungsbereich als auch für das Team im Kulturbetrieb ein Thema ist. Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen? Wenn man was fürs Publikum implementiert, sollte das ja auch für die eignen Strukturen gelten. Was muss man beachten, wenn man über die beiden Bereiche spricht?
NM: Ich glaube grundsätzlich gilt das eine für das andere. Aber eine Arbeitsstruktur ist anders als eine Veranstaltungsstruktur. Man hat mehr Hierarchien, man hat mehr Zwischenmenschliches, es «menschelt» einfach mehr. Das Verhältnis von Vorgesetzten und Mitarbeitenden ist einfach was Anderes, als das von Gast A zu Gast B. Wenn die beiden ein Problem miteinander haben, ist das was Anderes, als wenn mein Chef mich diskriminiert.
FR: Das war eine grosse Herausforderung für uns in der Arbeit an dem Konzept. Einerseits gibt es grundlegende Werte und Prinzipien, die gelten für alle. Aber im nächsten Schritt geht es darum, wie die Werte umgesetzt werden und das ist abhängig vom Kontext. Bei Veranstaltungen gibt es zum Beispiel Awareness-Personen als Ansprechpartner*innen am Abend, die beobachten, intervenieren, dementsprechend geschult sind, die aber von Montag bis Freitag von 9-18 Uhr nicht mit uns im Büro sitzen. Und die Veranstaltungen an sich sind ja auch nochmal extrem unterschiedlich.
Im Januar dieses Jahr haben wir den Sicherheitsdienst gewechselt. Seitdem steht Taktvoll an der Tür, ein ganzheitlicher Sicherheitsdienst, der Sicherheitsarbeit mit menschlichen Werten verbindet. Alle Menschen, die für Taktvoll arbeiten, sind dementsprechend geschult und verbinden ihre Sicherheitsarbeit mit vielfältigen sozialen Kompentenzen. Sie haben auch die Awarenessschulungen für das gesamte Südpol-Team durchgeführt. Was hat sich seither geändert?
FR: Ich kriege die Arbeit vor allem mit, wenn ich als Gast da bin. Als Gast macht das für mich einen Unterschied, wer die Menschen sind, die Sicherheitsarbeit leisten. Wer mich empfängt, wer potenziell ansprechbar ist, wie das Team sich identitätspolitisch zusammensetzt, was die ausstrahlen. Das ist ein anderer Vibe.
NM: Sie brechen in erster Linie mit Türsteherklischees, das schätze ich sehr. Wir kennen alle die Klischees, bisher waren das vor allem entsprechende Männer, die ein Gefühl von «Sicherheit» ausstrahlen sollten. Aber ich glaube für ganz viele Menschen und Identitätsgruppen tun sie das eigentlich überhaupt nicht. Für mich als Frau auch nicht, im Gegenteil. Seit Taktvoll da ist, bekomme ich regelmässig das Feedback: «Die sind ja voll nett». Das sind halt mehrheitlich junge Menschen, die auch selbst in den Ausgang gehen und das gibt mir das Gefühl, dass sie verstehen, worum es eigentlich geht. Das sind keine erwachsenen Personen, die seit 20 Jahren nicht mehr im Ausgang waren und die heutige Ausgangskultur vielleicht gar nicht mehr verstehen. Die erbringen halt einfach nur die Dienstleistung Sicherheit, haben aber keinen persönlichen Bezug dazu.
FR: Taktvoll ist sehr sensibel geschult. Sie leben ganzheitliche Sicherheitskultur und haben Spass an ihrem Job. Und werden trotzdem ernst genommen, ohne einschüchternd zu sein. Da braucht es keine Autoritätsperformance, die wissen einfach, was sie tun.
Wie verlief der Prozess der Konzepterarbeitung? Wo habt ihr angefangen und wo wollt ihr hin?
NM: Wir haben erst mal ganz viel Recherche betrieben. Wir haben geschaut, was machen andere, was gibt es für Literatur in dem Bereich. Die gibt es, die ist aber nicht extrem umfangreich.
FR: Sie basiert vor allem viel auf freiwilliger und unbezahlter Arbeit von anderen Awarenessteams. Wir haben dann herausgearbeitet, auf welcher Grundlage unser Konzept basieren soll, die überall sehr ähnlich ist. Der nächste Schritt war dann das Thema Umsetzung. Da gibt es Leitfäden, die wir adaptiert haben. Da sind wir gerade aber auch mittendrin: Wie kommunizieren wir jetzt das Konzept an unsere Gäste? Wer ist an welchen Abenden für die Awarenessarbeit zuständig? Wer ist wann verantwortlich und ansprechbar? In Absprache mit der Leitung bedeutet das ganz konkret: Was können wir uns leisten und was nicht?
Es gibt also gar kein Ziel, an dem eure Arbeit beendet ist? Die Umsetzungsphase ist quasi ein permanenter Prozess, der niemals endet?
NM: Genau, wir haben den Prozess vor etwa einem Jahr begonnen und er wird auch so schnell nicht abgeschlossen sein. Wir haben jetzt Massnahmen beschlossen, in einem finanzierbaren Rahmen, der noch nicht da ist, wo wir gerne hinmöchten. Aber jetzt müssen wir einfach mal starten und schauen: Wie funktioniert das? Was können wir ändern? Was funktioniert für die Teams am Abend? Das ist ein konstantes Evaluieren. Was passt und was nicht? Es ist auch eine spezielle Herausforderung, dass wir so unterschiedliche Veranstaltungsformate haben. Es gibt nicht DAS Szenario XY, sondern eher die Szenarien A-Z.
FR: Ich wusste nicht so viel über Awareness, bevor ich in den Prozess eingestiegen bin. Und je mehr ich einsteige, desto mehr weiss ich, dass ich nicht so viel weiss. Desto mehr Leerstellen und Handlungsbedarf erkenne ich. Oder erkenne ich, dass das, was wir jetzt anbieten können, nur einen ganz kleinen Teil von dem abdeckt, was man machen könnte oder müsste. Wenn wir das so sorgfältig machen könnten, wie wir das gern würden, dann geht das immer weiter und ist schwer abzuschliessen.
Dann wird euch oder werdet ihr das Thema Awareness begleiten, solange ihr am Südpol arbeitet. Wenn ihr aber irgendwann dieses Haus verlasst, wie möchtet ihr das Thema gerne hinterlassen? Wie soll es ohne euch weitergehen?
FR: Es muss vor allem Menschen geben, die sich dafür verantwortlich fühlen und beratende Ansprechpersonen für Gäste und Mitarbeitende sind. Das Traumziel wäre, dass diese Funktion in festen Stellenprozenten festgehalten wird. Die auch in Zukunft bei zwei Leuten liegt. Das ist nämlich auch eine Aufgabe mit potenziell belastenden oder diskreten Themen. Da braucht es für mich ein Gegenüber, mit dem ich mich austauschen kann. Feste Stellenprozente für ein Team, dem wir den Prozess übergeben können, das würde ich mir wünschen.
Du willst es in guten Händen wissen…
FR: Ja und in bezahlten Händen.
NM: Wir erfassen gerade, wie viel Awarenessarbeit wir eigentlich leisten. Was bedeutet das in Jahresarbeitszeit für eine Person, die dafür angestellt wäre? Ich würde mir wünschen, dass alles, was wir erarbeitet haben bestehen bleibt, aber dass das auch weiterentwickelt und angepasst wird. Und das genug Geld dafür zur Verfügung steht. Vor dem Problem stehen gerade ja viele Kulturbetriebe und Clubs, das man Awareness gerne implementieren würde, die Branche momentan aber leider nicht gut genug läuft, um eine entsprechende Stelle zu schaffen.
FR: Das ist eigentlich das Traurige daran, wenn Arbeit oder Massnahmen, die darauf abzielen einen diskriminierungsfreien Raum zu schaffen, die sind, die am Geld scheitern, weil sie nicht profitabel sind. Das gilt ja auch für alle anderen Zugänglichkeitsmassnahmen. Aber mit dem müssen wir leben und unseren eigenen Weg finden.