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15 JAHRE SÜDPOL: Eva Heller im Gespräch

Fr, 13.10.2023

Anlässlich unseres 15. Geburtstags haben wir ehemalige Mitarbeitende und Weggefährt*innen zum Gespräch eingeladen und mit ihnen über ihre Zeit am Südpol gesprochen.

Während der Jubiläumssaison werden an dieser Stelle jeden Monat unterschiedliche Menschen von ihren ganz persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen erzählen.

Die Gespräche führte Carmen Bach, Co-Verantwortliche Kommunikation.

 

«Das war besser als jedes Kulturwissenschaftsstudium»

 

Von wann bis wann und in welcher Funktion hast du im Südpol gearbeitet?

 

2008 bis 2011. Zuerst zwei Monate als Praktikantin im Bereich Programm und Produktion und dann als Mitarbeiterin Programm und Produktion in den Bereichen Musik, Tanz und Theater und die letzten sechs Monate war ich Leiterin Tanz Theater ad interim.

 

Viele haben erzählt, dass in der Anfangszeit alle alles gemacht haben. War das bei dir ähnlich?

 

Ein wichtiger Teil war die Betriebsentwicklung, einen Betrieb aufzubauen, der funktioniert: Was bedeutet es, Leute willkommen zu heissen? Wie strukturieren wir unsere Sitzungen? Wer hat welche Rollen? Wer entscheidet über was? Wen holen wir noch ans Haus, welche Partner*innen brauchen wir? Ich war sehr aktiv darin, das Haus mit der Szene zu verknüpfen, mit verschiedenen Veranstalter*innen, Kurator*innen. Und dann Produktionsarbeit, Abenddienste, Künstler*innenbetreuung, Programmierung, Programmzeitung schreiben, selbst Abende erfunden mit Künstler*innen, beispielsweise «Die unglaublichste Talkshow der Welt», die ein grosser Erfolg wurde. Ich habe vor allem die Produktionsprozesse strukturiert, darauf bin ich stolz.

 

Was hat dich zum Südpol gebracht, wie bist du da gelandet?

 

Mir war damals gar nicht so bewusst, wie wichtig mir Kultur und Musik und Theater sind. Ich habe selbst viel Musik gemacht, war an sehr vielen Konzerten, wusste aber nicht, was ein «Kulturbetrieb» ist. Weil ich aus der Provinz kam, war das Einzige, was ich kannte, das Jazzfestival Willisau. Meine Gesangslehrerin (Grüsse gehen raus an Annette von Goumoens!) hat irgendwann gesagt: «Eva, weisst du eigentlich, was ein Kulturbetrieb ist? Schau dir mal die Webseiten von der Kaserne, Gessnerallee und so weiter an. Und bewirb dich auf Praktika.» Ich hatte zu dem Zeitpunkt mein Studium an der Pädagogischen Hochschule abgebrochen, hatte eine kleine Krise. Ich habe mich dann auf Praktikumsstellen beworben, und im Südpol hat es geklappt.

 

Du warst also noch absolut grün hinter den Ohren, was den Kulturbetrieb angeht? 

 

Also ich habe viel Zeit in der Boa verbracht, hatte selber eine Band, mit der wir viele Konzerte gespielt haben. Aber hinter den Kulissen war ich sehr grün hinter den Ohren, ja.

 

Aus welcher Lebenssituation kamst du an den Südpol?

 

Ich war im Zwischenjahr, hatte zwei Monate in der Steuerverwaltung gearbeitet, war zwei Monate in Norwegen, war zwei Monate auf einer SAC-Hütte – und schon von Norwegen aus war mir bewusst: Ich sollte was studieren, hatte aber keine Ahnung was. Ich habe mich dann an der Pädagogischen Hochschule eingeschrieben, war da ein Semester und habe mich sehr unwohl und unterfordert gefühlt. Ich würde das im Nachhinein «kulturelle Platzangst» nennen. So eine kulturell-soziale Platzangst, dieser Luzerner Kleingeist. Vor diesem Hintergrund war die Praktikumsstelle am Südpol ein regelrechter Befreiungsschlag.

 

Und dann hast du viel Zeit in diesem Haus verbracht, das gerade neu gebaut war. Wo war dein Lieblingsort im Haus?

 

Ich habe in meiner gesamten Berufsbiografie selten wieder in so einem tollen Team gearbeitet. Wir waren sehr gerne im Büro. Die zweitliebsten Orte waren die Gänge hinter den Bühnen, weil ich da einfach die besten Momente mit den Künstler*innen hatte. Diese sehr privaten Momente vor und nach der Show. Und hinter der Bar war ich auch sehr gerne, um Anouschka zu nerven. Und natürlich auch sehr gerne im Backstage.

 

An welchen besonderen Menschen und Momente erinnerst du dich immer wieder gerne?

 

Programmsitzungen waren ein Highlight. Alles, was Gastgeberinsein umfasst: Die gastierenden Künstler*innen, die Residenzgäste, sie alle in Empfang zu nehmen und zu hosten war für mich das absolut grösste Privileg. Dann auch das Bereicheverbinden beim Gastgeben: Technik, Gastro, alles Mögliche. Meine wichtigsten Beziehungen in den Darstellenden Künsten gehen immer noch auf diese Jahre zurück. Das war eine sehr prägende Zeit.

 

Was ist im Südpol passiert, was später an anderen Häusern nicht passiert ist?

 

Dass Philippe uns als sehr junge und teilweise unerfahrene Menschen, aber als wichtige Vertreter*innen der Szene und regionalen Community hat mitkuratieren lassen. Wenn ich gesagt habe: Ich habe eine Vision für einen Abend, dann konnte ich meistens loslegen. Die Situation am Südpol war sehr schwierig und tricky, die Communities in der Stadt haben den Südpol am Anfang vor allem passiv oder aktiv diffamiert, wegen der unsäglichen Vorgeschichte mit der Schliessung der Boa und anderen Aspekten, die ich einem gewissen Grad dem herrschenden Lokalpatriotismus zuschreiben würde. Wir hatten auch mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, weil die Beteiligten das Gesamtkonstrukt nicht gut geplant hatten. Diese Schwierigkeiten haben uns natürlich zusammengeschweisst.

 

Ihr hattet keinen leichten Stand. Die Freie Szene war wenig begeistert von diesem neuen Konstrukt…

 

Die Freie Szene war komplett frustriert und verärgert und zum Teil sogar aggressiv.

 

Wie hält man das aus, ohne es persönlich zu nehmen?

 

Ich begreife erst jetzt, was für eine klare Haltung ich hatte, obwohl ich so jung war. Meine Herangehensweise war sehr klar: Ich denke nicht in diesen Kategorien, und wenn die Prozesse jetzt dazu geführt haben, dass die Ressourcen für die Freie Szene am Südpol gebündelt werden, then we just work from there. Ich war da sehr pragmatisch – und wohl auch unvoreingenommen und als Landei kulturpolitisch nicht vorgeprägt. Obwohl ich mich inzwischen als viel politischeren Menschen verstehe, denke ich nicht in diesen Kategorien, ich finde diese Grabenkämpfe für eine kleine Stadt wie Luzern nicht produktiv: Was ist «alternative»Kultur und was nicht?

 

Wärst du heute woanders, wenn du nicht im Südpol gearbeitet hättest?

 

JA! Meine Berufsbiografie sähe komplett anders aus: Alles, was nach dem Südpol passiert ist, hat darauf aufgebaut.

 

Was hast du am Südpol gelernt, was dir heute noch weiterhilft?

 

Ich denke einen Arbeitsbereich nie isoliert. Ich kontextualisiere meine Arbeit immer im gesamtgesellschaftlichen Kontext. Mit allen gesellschaftskritischen Diskursen bin ich am Südpol zum ersten Mal in Berührung gekommen. Durch die performativen Künste und die Künstler*innen, die diese Themen ans Haus gebracht haben. Das war besser als jedes Kulturwissenschaftsstudium.

 

Und im Hinblick auf persönliche Kompetenzen?

 

Ich kann sehr gut Institutionen nach aussen vertreten. Ich habe keine Angst, Entscheidungen zu kommunizieren, weil ich das einfach sehr früh machen musste und vor allem auch innerhalb meiner eigenen Szene. Warum dürft ihr jetzt keine Party bei uns veranstalten? Unbestechlichkeit. Und ich glaube ich habe auch sehr viel Selbstbewusstsein geschöpft, weil wir als qualifizierte Arbeitskräfte in die Grundsatzentscheide eingebunden wurden.

 

Was verbindet dich heute noch mit dem Südpol?

 

Der ist natürlich in meinem Körper abgespeichert, weil ich einige meiner intensivsten Arbeitserfahrungen dort hatte. Ich werde nie mehr vergessen, wie ich am Eröffnungstag wahrscheinlich 30 Stunden auf den Beinen stand. Den Geruch. Wenn ich heute die Hallen betrete, ist alles sofort wieder da. Ich kann heute nicht entspannt im Südpol sein, da arbeitet alles sofort in mir. Ich schaue mit extrem viel Empathie auf alle Prozesse. Gleichzeitig habe ich so intensiv da gearbeitet, und ich musste mich in so einer Geschwindigkeit mit der Stadtcommunity und ihren Mikropolitiken auseinandersetzen, dass ich auch eine kleine Allergie davon getragen habe, die in gewissen Aspekten bis heute anhält. Sprich: Ich reagiere auf vieles aus der Luzerner Szene allergisch, weil ich die Mechanismen in ihren Extremformen am Südpol erlebt habe. Weil sich rund um dieses Projekt alle Polemiken zugespitzt haben. Viele Menschen in meinem Umfeld sagen mir: Eva, du bist so ungnädig mit Luzern. Ich weiss genau, was ich an diesen Mechanismen nicht aushalte. Und wo es mir zu eng, zu normativ wird.

 

Wenn der Südpol ein Teenager wäre, was würdest du ihm für die nächsten 15 Jahre mit auf den Weg geben?

 

Also erstmal tut es mir leid, dass er seine erste Alkoholvergiftung schon als Baby hatte. Und denke auch, dass er einen entsprechenden Schaden davongetragen hat. Das Schöne ist ja, dass die, die den Südpol bei seiner Geburt verstossen und sehr aktiv gecancelt haben, ihn sich langsam wieder aneignen, weil sie sehen, was er für eine Ressource ist. Ich glaube aber, er wird weiterhin mit seinen Geburtsfehlern zu kämpfen haben und deswegen wünsche ich ihm, dass er den kreativen Spagat zwischen provinziellen und urbanen Ansprüchen gerecht werden kann. Ich würde ihm sagen: Beschäftige dich nicht allzu sehr mit dir selbst.